Aufbruch Leipzig


Wohnen
20.08.2021 Autor/en: André Adami

Die Preise in Leipzig steigen, für Eigentumswohnungen etwa haben sie sich innerhalb von fünf Jahren fast verdoppelt. Keine andere Großstadt in Deutschland verzeichnet eine solche Entwicklung. André Adami hat im WELT-Interview über den Leipziger Wohnungsmarkt gesprochen.

WELT: Was ist der Auslöser für diese Entwicklung?

André Adami: Zum einen haben wir weiterhin sehr niedrige Zinsen, die Finanzierung ist günstig. Zum anderen hat die Corona-Pandemie noch einmal den Drang zur Immobilie als Altersvorsorge verstärkt. Viele Interessenten hatten Zeit sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, manche haben mangels Alternativen auch etwas mehr Geld übrig. Diese Effekte gibt es allerdings im gesamten Bundesgebiet, aber in Leipzig kommen wir zusätzlich von einem relativ niedrigen Preisniveau. Ein prozentual schnellerer Anstieg ist also wahrscheinlich leichter zu erreichen.

WELT: Dennoch hat sich doch etwas geändert, innerhalb von nur drei, vier Jahren. Was ist der Auslöser für einen solchen Geldstrom in eine Stadt? Und wer kann bei den Preisen mithalten? Die Menschen in Leipzig selbst offenbar nicht, die Einkommen dort steigen nur langsam.

Adami: Es stimmt, nach unseren Beobachtungen kommen gut 80 Prozent der Käufer nicht aus Leipzig. Eigentumswohnungen im Bestand werden von Privatanlegern aus anderen Teilen der Republik gekauft. Was unbebaute Grundstücke und große Bauprojekte angeht, der klassische Investmentmarkt – da sind Profis aktiv: Spezialfonds, Versicherungen und Pensionskassen. Die finanzieren und entwickeln größere Bauprojekte. Leipzig ist da im Vergleich zu anderen Städten in Ostdeutschland zurzeit ein Top-Standort.

WELT: Bei Quadratmeterpreisen von mehr als 3500 Euro pro Quadratmeter und Baulandpreisen über 800 Euro sind viele Bürger vor Ort finanziell überfordert. Die Eigentumsquote liegt um die zwölf Prozent, in anderen Städten ist sie doppelt so hoch.

Adami: Das liegt auch daran, dass relativ wenig klassische Eigenheime – Einfamilienhäuser und Reihenhäuser – geplant und gebaut werden. Diese Bauform macht in anderen Städten mit einer anderen Bauhistorie, etwa in Westdeutschland, einen wesentlichen Anteil am selbstgenutzten Wohneigentum aus. Wir schätzen, dass 50 Prozent der Kaufinteressenten vor Ort, die kein passendes Angebot finden, Familien mit Kindern sind. Es gibt natürlich weitere Gründe für die niedrige Eigentumsquote. Dazu gehört auch eine unterschiedliche Vermögensstruktur in West und Ost. Der Kapitalstock der Familien in Ostdeutschland ist bei weitem nicht so groß wie im Westen – immer in Bezug auf den breiten Durchschnitt. Dieser Unterschied wurde in Bezug auf Immobilien in den 90er-Jahren zunächst noch etwas verstärkt durch die steuerlichen Sonderabschreibungen bei Kauf und Sanierung. Damals investierten fast nur Bürger aus dem Westen in Wohnungen im Osten. Leipzig war besonders beliebt. Diese Wohnungen werden jetzt teilweise erneut verkauft – mit deutlichen Wertzuwächsen.

WELT: Die meisten Haushalte sind somit auf Mietwohnungen angewiesen. Wie entwickeln sich da die Preise?

Adami: Da gibt es einen enormen Unterschied zwischen Neubau und Bestand. Die Neubaumieten sind deutlich gestiegen und haben sich jetzt zwischen 11,50 und 12,50 Euro eingependelt. Das können sich nur sehr wenige Haushalte vor Ort leisten. Im Bestand gibt es – noch – relativ viel Angebot, auch Wohnungen für sieben Euro pro Quadratmeter.

WELT: Welche Rolle spielen die Bodenpreise bei den hohen Neubaupreisen?

Adami: Wie auch in anderen Städten sind die Bodenpreise sehr schnell gestiegen, von 300 auf 800 bis 1.000 Euro pro Quadratmeter. Der Anteil des Bodenpreises am Neubaupreis ist in Leipzig mit etwa 25 Prozent zwar noch gering. Das sieht in anderen Städten, etwa Hamburg oder Berlin, ganz anders aus, dort hat der Bodenpreis einen Anteil von bis zu 50 Prozent. In Leipzig geht es aber in eine ähnliche Richtung. Wie in anderen Städten werden dort Grundstücke spekulativ weiterverkauft, oder durchgehandelt, bis es tatsächlich zu einem Baubeginn kommt. Das hat manchmal sogar Folgen für das Stadtbild, etwa wenn noch einmal nachverhandelt wird über Bebauungsdichte oder -höhe, weil der Projektentwickler mehr Fläche produzieren muss, um auf seine Kosten zu kommen.

WELT: Aber wenn ein Entwickler ein Grundstück kauft, dann das Baurecht bekommt, Wohnungen baut und dann verkauft oder vermietet – dann hat er doch kein Problem mit den inzwischen gestiegenen Bodenpreisen.

Adami: Aus Gesprächen mit Projektentwicklern wissen wir, dass das meiste Geld häufig nicht mehr mit dem Bau selbst verdient wird, sondern mit dem Handel von Grund und Boden. Wer ein ungenutztes Grundstück erwirbt und dann das Baurecht zugeteilt bekommt, kann einen enormen Wertzuwachs erzielen – und das auch mit einem geringeren Risiko als mit aufwendigen Planungen und Bauten, die sich verteuern und verzögern können. Denn auch die Baukosten selbst steigen schnell. Inzwischen beobachten wir, dass sich manche Entwickler gar nicht mehr mit dem komplizierten Bauen befassen, sondern sich auf eine Art Vor-Entwicklung von Baugrundstücken spezialisieren. Ein Grundstück wird gekauft, ein Bebauungsplan wird von der Gemeinde erstellt, dann wird weiterverkauft.

WELT: Haben die Städte keine Möglichkeit, diese Verkaufs- und Preisspirale zu unterbinden, damit günstigere Wohnungen entstehen?

Adami: Es gibt Möglichkeiten, etwa eine Baugenehmigung mit einer Frist zu versehen. Aber an einen Bebauungsplan selbst sind keine Bedingungen geknüpft, da sind den Städten die Hände gebunden, jedenfalls wenn der Plan bereits vorliegt oder wenn das Grundstück bereits in privaten Händen liegt. Bei Grundstücken, die noch in öffentlicher Hand liegen, kann man den Verkauf natürlich an Bedingungen knüpfen. Manche Städte betreiben Konzeptverfahren, wo nachträglich die Art der Bebauung oder der Anteil der preisgebundenen Wohnungen bestimmt. Aber die Bodenpreise steigen trotzdem. Manchmal kommt es auch darauf an, mit welchem Entwickler man zusammenarbeitet. Klassische Entwickler wie Kondor Wessels oder Bonava haben immer noch eigene Bauabteilungen. Da kann man auch davon ausgehen, dass diese Ressourcen genutzt werden, dass die also auch bauen.

WELT: Was ist, wenn das Kind sozusagen schon in den Brunnen gefallen ist, wenn also das Grundstück in privaten Händen liegt und ein alter Bebauungsplan vorliegt – das ist ja in vielen Fällen so.

Adami: Im Grunde genommen gibt es da immer noch Spielraum, mein Eindruck ist jedoch, dass der nicht immer genutzt wird. Die Städte könnten beispielsweise bestimmen, dass eine Baugenehmigung erlischt, wenn ein Grundstück weiterverkauft wird.

WELT: In manchen Städten hat die Zuwanderung nachgelassen, die Nachfrage nach Wohnungen geht zurück. Könnte es sein, dass sich manche Entwickler verkalkuliert haben?

Adami: Zumindest lässt sich in Leipzig und Dresden beobachten, dass manche Objekte länger in der Vermarktung sind als anfangs gedacht. Manche Projekte werden auch möbliert vermietet oder temporär als Büros genutzt.

WELT: Das Ziel der Städte und Gemeinden lautet: Günstige Wohnungen bereitstellen. Nun  entstehen zwar Wohnungen, aber immer weniger Menschen können etwas damit anfangen. In Berlin gehen die Neubau-Angebotsmieten inzwischen in Richtung 15 Euro, das ist Hamburger Niveau – bei vollkommen unterschiedlichen Einkommensverhältnissen.

Adami: Nach Berlin sind viele Zuzügler aus dem Ausland gekommen. Wer aus Paris nach Berlin umzieht, findet die Wohnungsmieten sowohl im Bestand als auch im Neubau immer noch vergleichsweise günstig. Die Berlin-Zuzügler haben häufig höhere Einkommen. Es ist also auch eine Frage der Zahlungsbereitschaft


Hinweis: Das Interview (hier in leicht gekürzter Fassung) ist zuerst erschienen in der WELT vom 14. August 2021. Die Fragen stellte Michael Fabricius.

Ansprechpartner: 
André Adami
Bereichsleiter Wohnen bei bulwiengesa
adami@bulwiengesa.de

 

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