Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft: Wo stehen wir wirklich?
Trotz regulatorischer Vorgaben und dem Druck von Finanzinstituten bleibt die Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Immobilienwirtschaft eine komplexe Herausforderung. Der neue Marktbericht von bulwiengesa und der Berliner Sparkasse zeigt: ESG ist zwar angekommen, aber die Praxis hinkt den Zielen noch hinterher.
Die deutsche Immobilienwirtschaft befindet sich in einem Spannungsfeld: Einerseits steigen die regulatorischen Anforderungen an nachhaltige Gebäude kontinuierlich, andererseits erschweren hohe Bau- und Finanzierungskosten sowie geopolitische Unsicherheiten die praktische Umsetzung. Unser aktueller Marktbericht "Nachhaltigkeit – Status quo" beleuchtet diese Diskrepanz und zeigt auf, wo die Branche steht – und welche enormen Investitionen für eine klimaneutrale Zukunft erforderlich sind.
Berliner Markt zeigt positive Entwicklung
Trotz der herausfordernden Rahmenbedingungen ist in Berlin ein erfreulicher Trend erkennbar: Zwei Drittel der 2024 fertiggestellten Büroflächen verfügen über eine Nachhaltigkeitszertifizierung. Bei den aktuellen Projektentwicklungen liegt dieser Anteil bereits bei 60 Prozent – Tendenz steigend, da viele Zertifizierungen nachträglich erworben werden.
Auch im Wohnungsbereich folgen zahlreiche Berliner Entwicklungen neuesten Baustandards. Fast 50 Prozent aller Wohnflächen über 1.000 Quadratmeter weisen 2025 eine Zertifizierung auf. Besonders hervorzuheben sind die KfW-Standards 40 und 55, die in Berlin einen Gesamtanteil von fast 90 Prozent erreichen.
Sanierungsquote bleibt problematisch
Die größte Herausforderung liegt jedoch im Bestand: Nur 0,69 Prozent der deutschen Gebäude wurden 2024 energetisch saniert – erforderlich wären jedoch jährlich zwei Prozent, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen. Dabei ist die Sanierung bestehender Gebäude nicht nur kostengünstiger als der Neubau, sondern verursacht auch bis zu zwei Drittel weniger graue Emissionen.
Investitionsbedarf bei Wohnen und Büro: 80 Milliarden Euro für Berlin
Zur Veranschaulichung der Dimension hat bulwiengesa eine theoretische Kostenschätzung für eine klimaneutrale Transformation Berlins vorgenommen: Allein für die energetische Sanierung der Wohn- und Bürobestände mit Baujahr vor 2000 wären rechnerisch Investitionen von rund 80 Milliarden Euro erforderlich – 52,3 Milliarden Euro für Wohngebäude und 28 Milliarden Euro für Büroimmobilien.
Dabei wurden bewusst unterschiedliche Ansätze gewählt: Während bei Wohngebäuden pragmatisch nach gut umsetzbaren Lösungen gesucht wurde, orientierte sich die Büroberechnung an strengeren Standards. Die komplexere Gebäudetechnik bei Büros und geringere Skalierungseffekte verteuern zusätzlich die Kosten pro Quadratmeter.
Diese theoretischen Berechnungen verdeutlichen die Dimension der Aufgabe. Berücksichtigt man, dass weitere Immobiliensegmente wie Logistik sowie infrastrukturelle Maßnahmen in dieser Rechnung noch nicht enthalten sind, dürften die tatsächlichen Kosten für eine vollständige Klimaneutralität ein Vielfaches betragen.
Politische Signale bleiben widersprüchlich
Während im aktuellen Koalitionsvertrag der Effizienzhausstandard EH55 temporär wieder förderfähig gemacht werden soll, laufen andere politische Vorschläge – wie die geplante Abschaffung des Heizungsgesetzes – in die entgegengesetzte Richtung. Diese widersprüchlichen Signale erschweren langfristige Planungssicherheit für Investoren und Entwickler.
Fazit: Nachhaltigkeit als Wirtschaftsfaktor
Nachhaltigkeit ist längst mehr als ein Trend – sie wird zum entscheidenden Wirtschaftsfaktor. Investoren knüpfen Kreditvergaben zunehmend an Nachhaltigkeitsprofile, und nicht nachhaltige Immobilien laufen Gefahr, zu "stranded assets" zu werden. Die Berliner Beispiele zeigen: Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist nachhaltiges Bauen möglich und wird vom Markt nachgefragt.
Die fundamentale Umbruchphase im deutschen Immobilienmarkt seit 2022 macht die ESG-Transformation nicht einfacher – aber sie macht sie umso notwendiger. Wer heute in Nachhaltigkeit investiert, schafft nicht nur einen Beitrag zum Klimaschutz, sondern sichert auch die langfristige Marktfähigkeit seiner Immobilien.
Den vollständigen Marktbericht "Nachhaltigkeit – Status quo" mit detaillierten Marktdaten zu Büro-, Logistik- und Wohnungsmarkt sowie umfassenden Analysen zu Zertifizierungssystemen finden Sie auf der Webseite der Berliner Sparkasse.
Ansprechpartnerin: Nicole Tietze, Senior Consultant im Bereich Gewerbeimmobilien bei bulwiengesa, tietze@bulwiengesa.de
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