Seniorenimmobilien – jährlich fehlen 26.000 Einheiten
Wer schon in der Situation war, schnell einen Angehörigen unterbringen zu müssen, weiß um die dramatische Knappheit von Plätzen. Bis 2040 werden über 26.000 neue Einheiten im Servicewohnen benötigt – zusätzlich, pro Jahr. Zweifellos braucht es mehr Kapazitäten – aber an den richtigen Orten.
Einen wohnortnahen vollstationären Pflegeplatz oder eine Wohnung im Servicewohnen für Senioren in der gewünschten Einrichtung zu bekommen, ist für Senioren üblicherweise nur über – meist sehr lange – Warteliste möglich. Senioren und ihre Angehörigen sind also auf der Suche: nach einer kurzfristigen Lösung im Akutfall, oder nach einer Wunschlösung, die die Bedürfnisse aktiver, unabhängiger Senioren nach einer barrierefreien Wohnung mit Sozialleben erfüllt. Wenn in der kommenden Dekade die Generation der Baby-Boomer in das Rentenalter eintritt, steigt der Bedarf an einem ausdifferenzierten Versorgungs- und Wohnangebot enorm an. Bis 2040 sind allein demografiebedingt zusätzliche 20.700 Pflegeplätze bzw. 26.100 Wohneinheiten im Servicewohnen pro Jahr erforderlich. Seit 2019 wurden im Schnitt pro Jahr indes nur rund 7.500 Pflegeplätze in 90 Pflegeeinrichtungen sowie 4.000 Wohneinheiten im Servicewohnen in etwa 200 Wohnanlagen fertiggestellt. Diese Lücke von etwa 13.000 Pflegeplätzen und ca. 22.000 Servicewohnungen pro Jahr zu füllen, erscheint angesichts der aktuellen Zäsur in der Neubauaktivität nicht realisierbar.
Einkommensstarke Regionen im Fokus – doch wer baut auf dem Land?
Zumal die Angebotsschaffung regional stark selektiv erfolgt: Neue Einrichtungen entstehen nicht unbedingt dort, wo der Bedarf am höchsten ist, sondern dort, wo bauen schlichtweg noch rentabel ist. Agglomerationsräume und einkommensstarke Regionen stehen im Fokus der Projektentwicklungen. Gerade ländliche Gebiete mit einem hohen Anteil an Senioren bleiben dabei „weiße Flecken“ auf der Landkarte, was früher oder später zu einer bedenklichen Versorgungslücke in peripheren Räumen führen wird.
Die Kapazitäten im Neubau müssen in allen Segmenten massiv ausgeweitet werden, damit Pflege und Wohnen für Senioren nicht zu einem Exklusivprodukt wird und die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für „unsere Alten“ nicht ad absurdum geführt wird. Doch wer bringt die Objekte auf den Markt? Wer sind die Bauherren und wie sind diese bspw. nach ihrer Exitstrategie zu kategorisieren? Wer steht auf der Investorenseite?
Nur jedes zweite neue Objekt geht in den Vertrieb
Im Rahmen einer Studie für die Carestone Group GmbH im Juni 2022 hat bulwiengesa den Anbietermarkt im Neubau von stationären Pflegeeinrichtungen sowie Servicewohnen für Senioren ausgewertet und analysiert. Insgesamt wurden rund 1.300 Einrichtungen mit Baujahr 2019 bis 2022 der bulwiengesa-RIWIS-Datenbank verifiziert und ausgewertet und hinsichtlich der Vertriebs- und Investmentstrategie der Projektentwickler und Investoren kategorisiert.
Zum einen wurden die Initiatoren der Projekte unter „Bauherren“ zusammengefasst. Diese gliedern sich in klassische Projektentwickler mit einem avisierten Exit (Trading Development) sowie Bestandshalter als Investor oder auch als Betreibergesellschaft (Investor Development). Zum anderen gibt es die Gruppe der Investoren oder Kapitalanleger, die die Immobilien in ihren Bestand nehmen bzw. halten. Hier wurde unterschieden nach Institutionellen Investoren, Betreibergesellschaften, Privatanlegern (WEG), kommunalen Wohnungsunternehmen und Genossenschaften.
Sowohl bei Neubauprojekten in der stationären Pflege wie auch im Servicewohnen für Senioren geht nur jedes zweite seit 2019 fertiggestellte bzw. in Bau befindliche Objekt in den Vertrieb. Auf der Käuferseite stehen Institutionelle Investoren (22 %), aber auch Privatinvestoren (27%). Lange galt die Aufteilung von Pflegeeinrichtungen in Teileigentumseinheiten und deren Einzelvertrieb als Nischenprodukt. Mit einem Marktanteil von 27 % aller Neubauobjekte seit 2019 ist hier jedoch ein marktrelevantes Investmentprodukt erwachsen.
Bestandshalter und hier insbesondere auch Betreibergesellschaften wirken aktiv auf die Angebotsschaffung bei Seniorenimmobilien ein. Rund 20 % der stationären Pflegeeinrichtungen werden durch Betreibergesellschaften wie beispielsweise der Evangelischen Heimstiftung GmbH oder Korian Deutschland AG realisiert, die die Immobilien zunächst im eigenen Bestand halten. Als Käufergruppe treten Betreibergesellschaften nur vereinzelt auf. Darüber hinaus zählen zu den Bestandshaltern nicht nur Investorengesellschaften, sondern ebenfalls Genossenschaften und kommunale Wohnungsunternehmen.
Fazit
Der geringe Marktanteil von kommunalen Wohnungsunternehmen sowie Genossenschaften an den Neubauaktivitäten zeigt: Der Markt braucht dringend privates Kapital, um Angebotskapazitäten auszuweiten. Inländische wie ausländische Investoren stehen in den Startlöchern, um Objekte zu erwerben, weichen aufgrund des Angebotsmangels an Neubauprojekten auf dem Investmentmarkt jedoch auf Bestandsobjekte aus. Vor allem aber müssen auch Seniorinnen und Senioren häufig ausweichen: Wenn sie es sich gesundheitlich nicht leisten können, auf die „Wunschlösung“ zu warten, bleibt ihnen nur der Umzug in eine Einrichtung, die gerade Kapazitäten frei hat – gleich, ob dies einen Wohnortwechsel oder auch den ungewollten Einzug in ein Doppelzimmer bedeutet.
Hinweis: Der Text erschien zunächst in leicht geänderter Fassung in CARE INVEST 6-2023
Ansprechpartnerin: Sabine Hirtreiter, Senior Consultant bei bulwiengesa, hirtreiter@bulwiengesa.de
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