Corona-Krise 2020 und 2021: Geschlossene Schulen, nicht nur Eltern im Homeoffice und unzählige Fragezeichen, was die Zukunft bringt. Zumindest was den Immobilienmarkt angeht, versuchen wir zu helfen.

Corona-Krise: Experten-Statements reloaded


Hintergrund
03.02.2021 Autor/en: bulwiengesa

Mitte März 2020: Seit wenigen Tagen war Homeoffice eingeläutet, Läden und Schulen blieben zu. Der Schock saß tief ebenso wie die Überzeugung, dass in wenigen Wochen, höchstens Monaten, wieder alles „normal“ sein würde. Unter enormer Unsicherheit hatten 10 Bereichsleiter für ihr Segment einen Blick in die Zukunft gewagt. Nun, Hand aufs Herz: Haben sich die Prognosen bewahrheitet? Und wie lauten ihre aktuellen Einschätzungen?

In diesem Blogartikel haben wir Ausblicke zu folgenden Themen zusammengestellt:

  1. Konjunktur & Arbeitsmarkt
  2. Wohnen
  3. Micro-Living
  4. Büro
  5. Einzelhandel
  6. Logistik & Industrie
  7. Hotel & Freizeit
  8. Pflege
  9. Wertermittlung

Für die Interessierten: die kompletten Statements vom März 2020.

 

1. Konjunktur & Arbeitsmarkt

Martin Steininger, Chefvolkswirt bei bulwiengesa, steininger@bulwiengesa.de:

„Enttäuschte Erwartungen an die Prognosen haben ihre Ursache oft auch in sachfremden Ansprüchen. Alle Prognosen können naturgemäß nur bedingte Prognosen sein. So werden wichtige Einflussgrößen wie beispielsweise Zinssätze als sogenannte technische Annahmen gesetzt. Die Projektionen für den gesamten Prognosezeitraum beruhen dann beispielsweise auf der Fortschreibung von Durchschnittswerten der letzten Monate oder aktuellen Werten. Daraus folgt zwangläufig, dass bei einer drastischen Veränderung dieser 'gesetzten' Größen auch eine handwerklich saubere Prognose das tatsächliche Ergebnis mitunter deutlich verfehlen kann. Prognosen als bedingte Prognosen sind immer nur im Kontext ihrer Annahmen zu verstehen und zu beurteilen.

So weit, so gut: Haben unsere Prognosen bzw. die gesetzten Annahmen zu Konjunktur und Arbeitsmarkt ihre hochgesteckten Ziele erreicht? Ja, das haben sie: Unser Ansatz, Unternehmensbefragungen als Basis für Aussagen zu einzelnen Wirtschaftsbereichen über die Zeit der Pandemie zu modellieren, erwies sich 2020 als erfolgsversprechender als alternative Verfahren. Die Modellierung, wie stark welche Wirtschaftsbereiche ihre Aktivität über welchen Zeitraum reduzieren und wie schnell die Rückkehr zur normalen Wirtschaftstätigkeit nach dem ‚Exit‘ von den allgemeinen Ausgangsbeschränkungen erfolgt, kann zeitnah an die Vorgaben der Politik angepasst werden – 2020, aber auch jetzt, 2021.

Die Perspektiven der deutschen Volkswirtschaft werden auch weiterhin von der Covid-19-Pandemie geprägt sein. Ab Sommer 2020 holte die heimische Wirtschaft – dank einer robusten Industrie – einen großen Teil der vorangegangenen Aktivitätseinbußen wieder auf. Für das Winterhalbjahr 2020/2021 muss aber infolge der erneut aufgeflammten Pandemie von einem begrenzten Rückschlag der wirtschaftlichen Aktivitäten ausgegangen werden. Danach dürfte die deutsche Wirtschaft jedoch wieder wachsen.

In dem von uns als am wahrscheinlichsten angesehenen Szenario steigt das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in kalenderbereinigter Rechnung nach einem Rückgang um 5,3 % im Jahr 2020 in den folgenden beiden Jahren mit Raten von 3,9 % und 2,7 % kräftig an. Im Jahr 2023 nähert sich der BIP-Anstieg dann dem des Potenzialwachstums an. Das Vorkrisenniveau wird spätestens Ende 2022 wieder erreicht und das Produktionspotenzial nur wenig später. Sukzessive werden zuvor pandemiebedingt verschlossene Konsummöglichkeiten wieder eröffnet und genutzt, auch sinkt die gegenwärtig sehr hohe Ersparnisbildung dadurch kräftig. Angetrieben wird die Erholung daher vor allem vom privaten Konsum. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Corona-Krise die Sparquote nach unserer Einschätzung 2020 auf einen Rekordwert von über 16 % hat ansteigen lassen – genug Spielraum, um zukünftige Konsum- und Freizeitwünsche nach erfolgter Impfung erstarken zu lassen.

Trotz einem Plus von 430.000 Arbeitslosen mehr als 2019 (Quote: 5,9 %) gilt der Arbeitsmarkt im vergangenen Jahr und auch in 2021 als robust: In Analogie zur Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 kompensieren verschiedene Kanäle die Ausbreitung der negativen wirtschaftlichen Folgen. Nur ein geringer Anteil wird durch Beschäftigungsabbau kompensiert, die Unternehmen versuchen, ihre Kernmannschaft weitestgehend zu halten. Der Anteil von Selbständigen sowie von Minijobs dürfte dahingegen überproportional hoch ausfallen. Hier wird die Pandemie ihre Auswirkungen auf den heimischen Arbeitsmarkt hinterlassen; diese Beschäftigungsgruppen sind insbesondere von den Auswirkungen des Lockdowns betroffen. Erst ab 2022 ist mit einer spürbaren Entlastung auf dem Arbeitsmarkt zu rechnen. Die Arbeitslosenquote verharrt 2021 noch bei 5,8 %, zu einem großen Teil auch abhängig vom pandemiebedingten Angebot an Förderungen bzw. Teilnahmen von Personen an Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung.

Last but not least: Die Finanzierungsbedingungen bleiben auch 2021 äußerst vorteilhaft – mittelfristig tritt hier das Risiko eines Paradigmenwechsels in der Geldpolitik auf. Durch die üppigen Staatshilfen steigen derzeit nicht nur die Staatsschulden, sondern auch die Verschuldung von Unternehmen, die Notkredite aufnehmen. Warnungen vor einer Zombiewirtschaft oder höherer Inflation sollten deswegen nicht außer Acht gelassen werden.“

 

2. Wohnen

André Adami, Bereichsleiter Wohnen bei bulwiengesa, adami@bulwiengesa.de:

„Im Frühjahr 2020 gingen wir davon aus, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Wohnungsinvestments und wohnungswirtschaftliche Projektentwicklungen im Vergleich zu anderen Assetklassen vergleichsweise gering sein würden. Und dass für sicherheitsorientierte Investoren wie Pensionskassen und Versicherungen die nachhaltige Stabilität von Wohnimmobilien noch weiter an Bedeutung gewinnt und langfristig orientierte Investoren zusätzlich von den noch weiter gesunkenen Finanzierungszinsen profitieren. Wir rechneten mit deutlichen Rückgängen bei Neuvermietungen und Verkäufen, nicht jedoch mit einem Bedeutungsrückgang für das Wohnen. Im Gegenteil – durch die Corona-Krise würde die Familie und die eigenen vier Wände wieder wichtiger werden als der Wochenend-Trip nach Mailand.

Rund neun Monate später haben sich diese Einschätzungen bestätigt. Institutionelle Investoren kaufen nach einigen Schreck-Monaten wieder stark ein und können neues Kapital einsammeln. Die Preise auf dem Investmentmarkt sind stabil, da die Zinsen weiterhin niedrig sind.

Während die Neubaumieten sich eher seitwärts bewegen, steigen die Kaufpreise weiter an, getrieben durch geringes Angebot, niedrige Finanzierungskosten und gestiegene Wertschätzung des Wohnens. Allerdings fanden aufgrund des Lockdowns weniger Transaktionen statt.

Größere Unterbrechungen auf den Baustellen konnten nicht festgestellt werden, obwohl ausländische Arbeitnehmer oder Subunternehmer teilweise ausfielen. Die Bauwirtschaft leidet jedoch etwas, da Prozesse in den Verwaltungen und Genehmigungsverfahren auch mangels begrenzter vorhandener Digitalisierung teilweise deutlich länger dauern.

Für die kommenden 24 Monate werden zwei Trends die Wohnungswirtschaft stärker bestimmen als in den Vorjahren: Pflege- und Seniorenimmobilien sind angesichts der aktuellen Präsenz des Themas ‚Gesundheit‘ noch stärker als bisher in den Fokus von Immobilieninvestoren geraten und werden eine größere Rolle bei Projektentwicklungen spielen. Des Weiteren werden die Speckgürtel und die Städte der zweiten Reihe um die Metropolen für wohnungswirtschaftliche Entwicklungen immer wichtiger, da die Wertschätzung für Garten und hohe Wohnqualität weiter steigen. Im Zuge der weiteren langfristigen Etablierung von Homeoffice werden längere Pendelwege akzeptiert, wenn das Büro in der City nur noch an zwei oder drei Tagen besucht werden muss.

Die Preise für Eigenheime und Grundstücke werden daher überdurchschnittlich vor allem im Umland der Städte steigen, während Wohnungspreise und insbesondere die Mieten auf geringerem Niveau als in den Vorjahren weiter wachsen werden.“

 

3. Micro-Living

Felix Embacher, Bereichsleiter Research bei bulwiengesa, embacher@bulwiengesa.de:

„Im März 2020 formulierten wir die These, dass das Segment Micro-Living von der Corona-Krise betroffen sein könnte, sofern sich unser gesellschaftliches Miteinander und die globale Vernetzung nachhaltig verändern sollten. Beim Studentenwohnen identifizierten wir als Risiko, dass Reisebeschränkungen zu einem Nachfragerückgang von internationalen Studierenden führen könnten. Grundsätzlich waren wir für das Segment Serviced Apartments etwas pessimistischer als für Studentenwohnen, da sich hier Nachfragerückgänge aufgrund zumeist täglicher oder zumindest monatsweiser Anmietbarkeit deutlich schneller auf die Belegung und damit Umsatz auswirken als bei Studentenapartments, bei denen die Mietverträge mindestens für sechs Monate gelten.

Trotz Corona-Krise hat sich die Zahl der Studierenden im Wintersemester 2020/21 zum Vorjahr um 2,0 % erhöht, die Zahl der Studienanfänger ist dagegen um 4,0 % gesunken. Die Auslastung im Segment Micro-Living hat sich im Juli 2020 gegenüber dem Januar 2020 um drei Prozentpunkte auf 90 % verringert. Auch die Mieten sind um 6 % zurückgegangen. 

Dies ist kein Einbruch, aber eine Delle, die das erfolgsverwöhnte Segment nun zum ersten Mal erlebt. Am Investmentmarkt ist das Interesse an wohnwirtschaftlichen Apartmenthäusern weiterhin hoch, wie Umfragen belegen. Deutlich anders und vor allem heterogener verhält sich die Situation bei den Serviced Apartments. Hier ist die Auslastung speziell in den Aparthotels analog zu den Hotels deutlich rückläufig gewesen und dürfte in vielen Häusern weit unterhalb einer betriebswirtschaftlich notwendigen Schwelle liegen. In Boardinghouses mit längerfristigeren Aufenthalten ist die Belegung dagegen zumeist deutlich positiver. Dennoch ist das investorenseitige Interesse an dieser Assetklasse in der aktuellen Marktphase doch verhaltener.

Im Segment Studentenwohnen könnte Deutschland mittel- bis langfristig seine sehr hohe Attraktivität nicht nur halten – bereits 2018 war Deutschland gemäß Study.EU das attraktivste Land für Studierende in Europa –, sondern sogar noch weiter ausbauen. Denn in dem zweitbeliebtesten Land Großbritannien erheben die Hochschulen ab dem akademischen Jahr 2021/22 für EU-Bürger die sogenannten ‚internationalen‘ Gebühren. Damit wird das Studieren dort deutlich teurer. Sofern viele internationale Studierende dann auf ein Studium in Deutschland umschwenken, steigt hierzulande die Nachfrage nach Wohnraum für Studierende. 

Im Segment Serviced Apartments wird die Nachfrage anziehen, sobald wieder ein weitgehend normaler Geschäftsreiseverkehr zu verzeichnen ist. Eine Rückkehr zu Business-as-Pre-Covid erwarten wir ab 2022.“

 

4. Büro

Sven Carstensen, Vorstand bei bulwiengesa, carstensen@bulwiengesa.de:

„Das Jahr 2020 war geprägt von der Diskussion über die Zukunft des Büromarktes vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung von Homeoffice einerseits und neuer Bürokonzepte andererseits. Dabei reichte die Erwartungshaltung von einem stark disruptiven Einfluss – und damit einem Rückgang des Büroflächenbedarfs – bis hin zu einer höheren Nachfrage aufgrund von weniger dichten Arbeitsplätzen. Diese Diskussion bestimmt auch weiterhin den Markt, nur dass sich mittlerweile eine gewisse Versachlichung einzustellen scheint und der Zusammenhang von gesamtwirtschaftlicher Prosperität und Büromarktperformance wieder stärker Berücksichtigung findet. 

Erwartungsgemäß sind die Flächenumsätze im vergangenen Jahr stark zurückgegangen – hier spiegelt sich die krisenbedingte Aversion vor langfristigen Standortentscheidungen bei Unternehmen wider. Der durchschnittliche Flächenumsatz pro A-Stadt sank somit um 37 % im Vergleich zum Vorjahr. In Anbetracht des Ausmaßes der Krise und des zweimaligen Lockdowns kann dieser Rückgang dennoch als maßvoll bezeichnet werden. Wie bereits im Frühjahr 2020 prognostiziert, ist bislang ein massiver Leerstandsanstieg ausgeblieben. Die Marktabkühlung zeigt sich zwar in einem Zuwachs der Leerstandsquote um 50 BP, der derzeitige Wert von 3,4 %  im Durchschnitt der A-Städte weist jedoch (noch) nicht auf eine krisenhafte Entwicklung hin.

Frühzeitig hat bulwiengesa auf zunehmende Schwierigkeiten bei der Realisierung von geplanten Büroprojekten aufgrund restriktiverer Kreditvergabe der Banken hingewiesen – eine Tendenz, die sich im Jahresverlauf verstetigt hat. In der Folge werden weniger spekulative Projekte (also Vorhaben ohne relevante Vorvermietung) auf den Markt kommen. Das Risiko einer Überproduktion an Angebotsfläche ist somit deutlich gesenkt.

Wie genau waren wir also mir unserer Frühjahresprognose im Vorjahr? Für eine solide Bewertung ist der jetzige Zeitpunkt noch deutlich zu früh. Aus der derzeitigen Perspektive kann jedoch festgehalten werden: 

  • Sollte die wirtschaftlicher Erholung wie weiterhin erwartet ab Mitte des Jahres spürbar einsetzen, wird dies stabilisierend wirken und die Nachfrage nach Bürofläche beleben.
  • Homeoffice wird einen Einfluss auf die Büronachfrage haben, dieser spiegelt sich auch in neuen Büroflächenkonzepten wider. Einen hierdurch initiierten Einbruch der Nachfrage erwarten wir nach wie vor nicht.
  • Insbesondere in Nebenlagen wird es zu Miet-und Wertanpassungen kommen – auch hier hat sich die Erwartungshaltung aus dem Vorjahr nicht geändert.
  • Der Investmentmarkt wird wie schon im Vorjahr von einer starken Nachfrage nach Core-Immobilien geprägt sein, die Spitzenrenditen bleiben somit stabil.

Es besteht somit derzeit kein Anlass, von den grundsätzlichen Tendenzaussagen der Frühjahrsprognose 2020 abzuweichen. Die Notwendigkeit eines permanenten Marktmonitorings bleibt vor dem Hintergrund eines weiterhin durch Unsicherheiten geprägten Marktumfeldes sehr hoch.“ 

 

5. Einzelhandel

Dr. Joseph Frechen, Bereichsleiter Einzelhandel bei bulwiengesa, frechen@bulwiengesa.de:

„Der stationäre Einzelhandel kommt nicht zur Ruhe. Bereits der erste Lockdown im Frühjahr 2020 hat tiefe Spuren hinterlassen, nun hält seit Dezember der zweite harte Lockdown an. Unsere im April 2020 geäußerten Einschätzungen sind leider wahr geworden. Viele betroffenen stationären Einzelhandelsunternehmen, schrieben wir, würden ihre Mietzahlungen einstellen oder reduzieren. Und auch, dass Abstimmungen zwischen Vermietern und Mietern anstünden, die die Reduzierung von Mietforderungen und dauerhafte Mietsenkungen in der ‚Normalphase‘ zum Gegenstand hätten. 

Die Zeit seit April 2020 wurde von vielen Eigentümern und Assetmanagern für Mietergespräche genutzt. Vielfach vereinbarten sie, dass für die Monate der Schließung keine Miete gezahlt wird, im Gegenzug wurde dafür aber eine Verlängerung der Mietvertragslaufzeit vereinbart; teilweise auf Basis alter, aber auch zu reduzierten Mietkonditionen. Diese Gespräche haben sich insbesondere mit Mietern des Modeeinzelhandels bis in den Herbst hinein geschoben. Kaum waren diese Vereinbarungen fixiert und die Umsatzhoffnung des stationären Modeeinzelhandels kehrte zurück, sorgte zunächst der weiche Lockdown im November und anschließende harte Lockdown im so wichtigen Weihnachtsgeschäft für eine kräftige Eintrübung. 

Genau dieses Stimmungsbild prägt den stationären Einzelhandel zu Jahresbeginn. Doch das Bild im Einzelhandel ist vielschichtig. Während der stationäre Einzelhandel in der Tendenz leidet – wobei der Handel mit Bekleidung und Schuhen hier größter Leidtragende mit -23,4 % gegenüber dem Vorjahr ist, während der Lebensmitteleinzelhandel um 5,8 % zulegt – eilt der Internet-Handel von Rekord zu Rekord und legte um 24,1 %  gegenüber dem Vorjahr zu. Entsprechend berichtet das Statistische Bundesamt von einem Anstieg des Einzelhandelsumsatzes im Jahr 2020 von 3,9 % gegenüber dem Vorjahr (Angaben jeweils real, vorläufig). 

Der Start ins Jahr 2021 verläuft für das Gros des stationären Einzelhandels mehr als holprig. Click & Collect entwickelt sich für einige, meist inhabergeführte Einzelhandelsgeschäfte als Überlebenshilfe und zeugt von der enormen Kreativität, Aktivität und Leistungsfähigkeit des stationären Einzelhandels. Aber diese vielfältigen Aktivitäten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mieten im stationären Einzelhandel für Anbieter von Waren des aperiodischen Bedarfs unter Druck bleiben. Davon bleiben Highstreetlagen ebenso wenig verschont wie Shoppingcenterlagen. Gleichwohl zeichnet sich ab, dass beste Innenstadtlagen und Shoppingcenter diese Entwicklung robuster überstehen als Lagebereiche und Center, die bereits schon vor Corona Anzeichen einer sinkenden Mietzahlungsbereitschaft zeigten. Wie bereits schon im Frühjahr 2020 thematisiert, führt uns die Corona-Pandemie den schmerzlichen Anpassungsprozess in einigen Branchen des stationären Einzelhandels im Zeitraffertempo vor Augen. Gleichwohl wird zunehmend von uns Konsumenten erkannt, was der stationäre Einzelhandel leistet und was uns fehlen würde, wenn er verschwände: intensive Interaktion, glänzende Augen, unterhaltsame Gespräche, Geselligkeit, Freude, Freizeitvergnügen und Ablenkung. Hier wird der stationäre Einzelhandel, insbesondere der aktuell arg gebeutelte Modeeinzelhandel, wieder ansetzen und seine Stärken, auch gegenüber dem Onlinehandel, ausspielen können. Für einen Abgesang auf den stationären Einzelhandel ist es noch viel zu früh, auch wenn 2021 ihm noch einiges abverlangen dürfte.“

 

6. Logistik & Industrie

Autor Patrik Völtz | Ansprechpartner Daniel Sopka, Consultant Industrie und Logistik bei bulwiengesa, sopka@bulwiengesa.de:

„Als sich im März 2020 die Corona-Pandemie ausbreitete, war die Unsicherheit auf den Märkten groß. Auch im Bereich der Logistikimmobilien schien eine gewisse Unsicherheit um sich zu greifen. Unterbrechungen von Lieferketten waren das vorwiegende Problem; so war beispielsweise die Seefracht nicht auf diese Herausforderungen vorbereitet. Wir gingen davon aus, dass diese Herausforderungen jedoch kurz- und mittelfristig kaum negative Folgen auf die Logistikimmobilienwirtschaft haben würden, da u. a. Mietverträge meist langfristig geschlossen werden. Auch ein in einigen Logistiksektoren zurückgehender Lagerflächenbedarf wurde prognostiziert. Auf Projektentwickler- und Investorenseite war damals die Unsicherheit groß und eine abwartende Haltung schien äußerst realistisch.

Im Verlauf des letzten Jahres zeigte sich, dass wir mit unseren Prognosen überwiegend richtig lagen. Hinsichtlich Logistikimmobilien war die Zuversicht begründet, denn die Systemrelevanz der Logistikbranche ist nach wie vor offensichtlich. Große Herausforderungen galt es im Prozess der Logistikabläufe zu meistern. Die vornehmlich in China beheimateten Produktionsstätten konnten nach kurzer Zeit wieder ihre Arbeit aufnehmen, wobei die nachgelagerten Frachtrouten nach Europa und Nordamerika den Flaschenhals darstellten. Mittlerweile funktionieren die Supply Chains jedoch wieder auf einem guten Niveau. Aus der anfänglichen Zurückhaltung vieler Akteure wurde im zweiten Halbjahr 2020 und zu Jahresbeginn 2021 wieder Optimismus. Projektentwickler wissen um die anhaltend hohe Logistikflächennachfrage; im Jahr 2020 sind einige große Fonds ins Leben gerufen worden, die gezielt Logistikimmobilien als Anlageziel definieren.

Wie geht es nun weiter? Vieles wird davon abhängen, inwieweit Mutationen des Virus in Zukunft um sich greifen. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen sind aus heutiger Sicht nur schwer abzuschätzen. Für die Logistikimmobilienwirtschaft lassen sich jedoch folgende Schlüsse ziehen: Mit großer Wahrscheinlichkeit ist mit einer weiterhin steigenden Nachfrage nach Lösungen im Bereich des E-Commerce zu rechnen. Die globalen Lieferketten konnten aus den Erfahrungen des Vorjahres lernen und scheinen in Zukunft zumindest zu einem gewissen Grad gefestigter als noch zu Beginn des Jahres 2020. Steigender Logistikflächenbedarf wird zu steigenden Preisen für Grundstücke und Mieten führen, wohingegen die Renditen weiter sinken werden. Das Tempo, indem sich diese Entwicklungen abspielen und wann eine Stagnation in Sicht sein wird, ist ungewiss. Das Jahr 2021 wird hier aller Wahrscheinlichkeit nach noch keine Umkehr zeigen."

 

7. Hotel & Freizeit

Dierk Freitag, Head of Hotel- und Freizeitimmobilien bei bulwiengesa, freitag@bulwiengesa.de:

„Unsere Befürchtungen vom März vergangenen Jahres wurden mehr als bestätigt. Wie hinlänglich bekannt, hat sich die Lage von Gastgewerbe, Freizeit und Kultur in den zurückliegenden zehn Monaten nicht nur verschlechtert, sondern dramatisch entwickelt. Zum Ende des Jahres 2020 lag die Übernachtungsnachfrage im deutschen Beherbergungsgewerbe rund 40 % unter Vorjahr. In den letzten 30 Jahren wurde kein schlechteres Ergebnis erzielt. 

Hotels, Freizeit- und privat- oder vereinsgeführte Kulturbetriebe liegen wirtschaftlich am Boden. Wo noch möglich wurden entsprechende Projektentwicklungen gestoppt. Erste Betreiber gaben auf und diverse Investoren nehmen von Hotel- und Freizeitinvestments Abstand. Besonders betroffen sind Hotels in deutschen Großstädten, deren wirtschaftliches Standbein üblicherweise der Geschäftstourismus ist. Einer der wenigen Lichtblicke ist die Ferienhotellerie, die nach dem ersten Lockdown von den Reisebeschränkungen ins Ausland profitierte und im Hochsommer 2020 vergleichsweise gute Auslastungen erzielte – womit sie jedoch noch lange nicht als Gewinner der Krise bezeichnet werden sollten. 

Die Liquiditätsreserven fast aller Akteure sind erschöpft, weshalb teilweise Pachtzahlungen eingestellt oder drastisch reduziert wurden. Dies wirft wiederum vermieterseitig Probleme auf, da auch Immobilieneigentümer ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen müssen. Und Wertkorrekturen bleiben nicht aus. 

Die wirtschaftlichen Einbußen in vielen Branchen und die guten Erfahrungen vieler Unternehmen mit Videokonferenzen lassen befürchten, dass die für die Stadthotellerie wichtige geschäftlich motivierte MICE-Nachfrage aus dem In- und Ausland noch mindestens zwei bis drei Jahre unter Vorkrisenniveau liegen wird, wenn nicht sogar noch länger. Und eine Erholung der Besucherströme bedeutet noch lange keine wirtschaftliche Gesundung der Tourismusbetriebe, die gerade jetzt Kapital für Konzeptmodifikationen, Digitalisierung, Mitarbeiterbindung, Schuldenabbau und Kapitaldienst benötigen. 

Für Kinos, Fitnesscenter & Co. sind die Aussichten ähnlich trüb. Besonders dann, wenn das derzeit behördlich vorgeschriebene Cocooning zur Gewohnheit werden sollte. Denn manch einer dürfte festgestellt haben, dass sich Spinning, Asanas und Blockbuster schauen – ähnlich wie shoppen – auch bequem von Zuhause bewerkstelligen lassen. 

Die Ferienhotellerie wird sich schneller erholen. Doch auch dort ist investitionsseitig Vorsicht geboten. Wenn das Ausland ohne Beschränkungen wieder bereisbar ist, werden ausländische Urlaubsorte alle Anstrengungen unternehmen, deutsche Touristen ins Land zu locken. Zudem ist in den nächsten Jahren besonders in Küstennähe mit hohen Angebotszuwächsen zu rechnen. 

Das ganze Ausmaß der Krise wird erst in einigen Monaten, mit Wiederaufnahme der Insolvenzantragspflicht, sichtbar werden. Und dann beginnt die wärmere Jahreszeit, die für Kinos, Fitnessstudios und manches Stadthotel per se eine auslastungsschwache Zeit darstellt."

 

8. Pflege

Dr. Heike Piasecki, Bereichsleiterin Wohnen/Seniorenwohnen bei bulwiengesa, piasecki@bulwiengesa.de:

„Anfang 2020 hieß es: ‚In den Heimen wächst die Sorge …‘, und es wurde darauf verwiesen, dass die Beeinträchtigungen erheblich zunehmen werden. Belastungen nicht nur im Sinne der Betreuung und Gesunderhaltung der Bewohner, sondern auch in organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht der Einrichtungen. 

Und leider ist es viel einschneidender gekommen und die Sorge ist umgeschlagen in eine höhere Sterblichkeit unter den Bewohnern, vielen Einschränkungen für die Pflegebedürftigen und deren Angehörige, einer stark zunehmenden Arbeitsbelastung für die Beschäftigten und einer Beeinflussung der Wirtschaftlichkeit der Pflegeeinrichtungen. 

Mittlerweile gibt es Besuchskonzepte, den Einsatz von Schnelltests und andere Maßnahmen, um den dringend notwendigen sozialen Kontakt zwischen den Bewohnern und deren Angehörigen wiederherzustellen. Die aktuell laufenden Covid-19-Impfungen der Heimbewohner und der Pflegemitarbeiter werden mittel- bis langfristig dazu beitragen, den Schutz der Bewohner zu erhöhen und die stärkere Sterblichkeit wieder einzudämmen. 

Eine im Sommer von der Bank für Sozialwirtschaft durchgeführte Befragung von Betreibern für Gesundheitsimmobilien hat die im Frühjahr 2020 angenommenen Befürchtungen bestätigt: nicht kompensierten Einnahmeausfälle durch Belegungsrückgänge und Kostensteigerungen liegen mehrheitlich zwischen 5 % und 20 % des Umsatzes; die Refinanzierungslücke ist gestiegen und weitere Liquiditätsengpässen im Verlauf der Pandemie werden erwartet. 

Teile der Verluste werden vom ‚COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz‘ abgedeckt. Die Investitionskosten der Einrichtungen werden dabei jedoch nicht erfasst. Daher muss es im Interesse der Immobilieneigentümer als auch der Betreiber sein, gemeinsame Lösungen zu finden, die das Mietverhältnis und damit den Betrieb der Einrichtung langfristig sichern. Insolvenzen von kleinen Betreibern können mittelfristig nicht ausgeschlossen werden. 

Die Nachfrage nach konjunkturunabhängigen Immobilienanlagen hat trotz der rezessiven Wirtschaftsphase deutlich zugenommen. Die Investoren bewerten vor allem den nachhaltigen Cashflow, der in Seniorenimmobilien erwirtschaftet wird, als positiv. Das zeigt sich auch im aktuellen Transaktionsgeschehen. Laut einer Analyse von CBRE betrug das Transaktionsvolumen im Jahr 2020 3,38 Mrd. Euro, ein Rekordergebnis. Pflegeheime konnten ihren Marktanteil deutlich auf 72 % ausbauen. Auch bei der mittlerweile etablierten Assetklasse betreutes Wohnen stieg der Anteil auf 14 %. 

Die Spitzenrenditen von Pflegeheimen sind bedingt durch die steigende Investorennachfrage, dem knappen Produkt und der kurz- wie langfristig verlässlichen Cashflows auch während der Pandemie weiter gesunken und bewegen sich um 4 %. Es ist für 2021 zu erwarten, dass das Investitionsvolumen bei den Pflegeimmobilien angesichts der großen Investorennachfrage lediglich durch das Produktangebot begrenzt wird.“

 

9. Wertermittlung

Marcus Badmann, Geschäftsführer der bulwiengesa appraisal GmbH, badmann@bulwiengesa-appraisal.de:

„Im März 2020 sind wir davon ausgegangen, dass kurz- wie auch längerfristig die einzelnen Marktsegmente unterschiedlich stark betroffen sein werden und dass es keinen massiven Einbruch der Kaufpreise geben wird, sondern vielmehr eine Verringerung der Transaktionszahlen. Weiterhin sind wir davon ausgegangen, dass sich die Miet- und Kaufnachfrage nicht einheitlich zurück auf das Vorkrisenniveau begeben werden. Unklar war auch, in welchem Ausmaß die unterschiedlichen Marktteilnehmer von der Krise betroffen sein werden und ausgebliebene Transaktionen nachgeholt werden. Dass das andauernd niedrige Zinsniveau sich längerfristig positiv auf den Immobilienmarkt auswirken wird, war ebenfalls Teil unserer Prognose sowie die Erwartung, dass Immobilieninvestitionen als ‚sicherer Hafen‘ angesehen werden, sofern es sich nicht um unmittelbar betroffene Immobilienarten handelt wie Hotels und Shoppingcenter. 

Wir hatten zu Beginn der Pandemie großes Vertrauen in den deutschen Immobilienmarkt und sind von einer ausgeprägten Resilienz ausgegangen. Dennoch überrascht es uns, wie ausgeprägt diese Widerstandsfähigkeit ist. Unsere Prognose vom März 2020 hat sich weitgehend bewahrheitet: Die Transaktionsvolumina sind in den meisten Immobilienarten deutlich zurückgegangen, die Preise sind jedoch weitgehend stabil geblieben. Es war zu erwarten, dass Objekte, die während der Corona-Pandemie auf den Markt kommen, zu den sicheren Investitionsmöglichkeiten zählen und preislich nicht oder nicht wesentlich nachgeben. Objekte, bei denen harte Preisverhandlungen zu erwarten sind, werden dahingegen vorzugsweise nicht angeboten. Dass in manchen Immobilienarten die Preisdynamik sogar, ggf. etwas abgemildert im Vergleich zu den Vorjahren, angehalten hat, ist ein beeindruckendes Zeichen des Vertrauens der Anleger. Leider stark negativ beeinflusst sind die Immobilienarten, die durch die Lockdowns nur geringere Umsätze generieren konnten, wie Hotels und der nicht lebensmittelbasierte Einzelhandel. 

Die ganze Wahrheit wird sich zeigen, wenn die unmittelbare Pandemielage überwunden ist und staatliche Hilfsmaßnahmen auslaufen. Im Laufe des Jahres 2021 werden sich deutlichere Auswirkungen im Immobilienmarkt zeigen. Bei Hotels erwarten wir zunehmende Verkäufe von notleidenden Objekten, da die Auslastung erst allmählich ansteigen wird. Der Einzelhandel für den aperiodischen Bedarf wird dauerhaft einen Anteil an den Onlinehandel verloren haben, was zu vermehrten Leerständen, nachgebenden Mieten und sinkenden Kaufpreisen führen wird. Wohnen und insbesondere die Logistik werden verstärkt zu den Krisenprofiteuren zählen. Dieser Trend zeichnet sich bereits deutlich ab. Bei Büros erwarten wir, dass Vermietungen in absehbarer Zeit zunehmen werden und das Transaktionsvolumen ebenfalls ansteigen wird.

Für die Immobilienwertermittlung bedeutet die Coronapandemie die Notwendigkeit zu noch tiefergehenden Analysen und zur weitergehenden Differenzierung selbst innerhalb einer Assetklasse. Selbst die in der Pandemie vielgescholtenen Hotels können interessante Investments darstellen, wenn Lage, Konzeption und Pachtvertrag stimmen.“ 

 

Ansprechpartnerin: 
Sigrid Rautenberg
Leitung Unternehmenskommunikation
rautenberg@bulwiengesa.de

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